Susi (Kaufmich): Die Zukunft der Sexarbeit – sind Bordelle noch zeitgemäß?
Es hat immer Bordelle gegeben. Warum soll das in Zukunft anders sein? In gewisser Weise ist ein Bordell jedoch ein Geschäftsmodell des 19. Jahrhunderts. Warum, diskutiere ich hier.
Auch um die Jahrhundertwende gab es konzessionierte Bordelle, wo nur sauber registrierte Sexworker arbeiten durften und die häufig von Frauen, meist ehemaligen Huren, betrieben wurden. Mit zunehmenden Alter und abnehmender Kundennachfrage wird das Geschäft als Hure nicht mehr lukrativ und man wechselt in die Rolle der Betreiberin. Das ist durchaus üblich.
Auch heutzutage werden vor allem kleinere Bordelle von Frauen betrieben, die selbst nicht anschaffen. Große Häuser wie FKK Clubs und Laufhäuser meist von Männern.
Es gibt verschiedene Gründe, warum Bordelle existieren
– Bordelle existieren in Ländern, wo Sexarbeit legal ausgeübt werden kann sowie als illegale Bordelle in Ländern mit Bordellverboten. Dies sind dann im Regelfall wechselnde Wohnungen, wo mehrere Sexworker arbeiten. Haben sich historisch Rotlichtbezirke außerhalb der Sperrgebiete entwickelt, konzentrieren sie sich häufig in einem Bezirk.
– Es ist eine bequeme Art des Geldverdienens für Sexdienstleister:innen, da sie sich um nichts kümmern müssen, außer Miete zu zahlen. Die zeitraubende Werbung und Marketing, Reinigung, Kundenkommunikation, Security Maßnahmen übernehmen meist die Betreiber. Bleiben nur noch die Service- und Preisverhandlungen in den Zimmern.
– Die tägliche Pauschalsteuer (das sog. Düsseldorfer Verfahren, an dem sich viele Prostitutionsstätten beteiligen) wird vom Betreiber eingetrieben und an das Finanzamt weitergeleitet und dokumentiert. Allerdings entsteht bei vielen SDL der Eindruck, dass sich damit die Steuerlast erledigt hat. Dies ist keineswegs so. Natürlich müssen sie eine Steuernummer beantragen und eine jährliche Einkommensteuererklärung anfertigen und alle Quittungen der bezahlten Pauschalsteuer dokumentieren und ggf. weitere Steuern zahlen.
Viele kennen ihre Rechte nicht
– Bordelle sind für Sexworker mit Sprachbarrieren attraktiv, da sie kaum mit Kunden sprechen müssen. Dies ist ein Grund, warum besonders viele Migrant:innen in Bordellen arbeiten. Leider kennen aber auch viele ihre Rechte nicht.
– Risiko: die Mieten müssen häufig auch bezahlt werden, wenn der Umsatz niedrig ist oder ganz ausfällt. Es können sich dadurch Schulden anhäufen.
– In manchen Bordellen existieren strenge Hausregeln. Wenn man sich nicht unterwirft, fliegt man raus. Dies ist seit dem Prostitutionsgesetz von 2001 verboten. Betreiber:innen haben nur ein eingeschränktes Weisungsrecht.
– Queere oder benachteiligte Sexworker z.B. mit Behinderungen, Drogen gebrauchende Sexworker werden manchmal rausgeschmissen bzw. erhalten erst gar nicht die Erlaubnis, dort zu arbeiten. Diese finden sich später häufig auf dem Strassenstrich wieder oder isoliert in Privatwohnungen und illegalen Wohnungspuffs.
Freierforen üben Druck auf Betreiber aus
– Negative Erfahrungsberichte im Internet können der Grund sein, dass eine Sexdienstleisterin ihren Arbeitsplatz verliert, weil sich viele Betreiber:innen von Bordellen oder Agenturen auf die Seite der Kunden in den Freierportalen stellen und den Erfahrungsberichten glauben.
– Entstehen verschiedene Abhängigkeiten zwischen Betreiber und SDL unterstellen Behörden eine Scheinselbständigkeit und können Verfahren gegen sie einleiten. Vorsicht bei Werbetexten und der Umsatzsteuerproblematik!
– In Bordellen gibt es häufig Razzien, da hier von Behörden verschiedene Delikte vermutet werden: Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Drogenhandel, Zwangsprostitution, keine Anmeldung nach ProstSchG.
– Vorteil für Kunden: Kunden können im Regelfall anonym Dienstleistungen in Anspruch nehmen und sie können unter verschiedenen SDL wählen. Da sich neue Gesichter besser verkaufen, wechseln SDLs häufig Bordell und Stadt und touren deutschland- und europaweit.
Wie könnte ein Abrechnungsmodell der Zukunft aussehen?
Bereits jetzt gibt es Stundenzimmer, wo nach Mietdauer abgerechnet wird. Wenn hier die Mieten nicht zu hoch sind, ist dies ein faires Nutzungsmodell. Die meisten Bordellbetreiber sind im Prinzip nur noch Vermieter.
In Laufhäusern hat jede Sexarbeiter:in eigenes Zimmer und zahlt z.B. in Frankfurt ca. 140€ Tagesmiete plus die tägliche Pauschalsteuer, in Terminwohnungen sind 600€ Wochenmiete üblich.
Die verschiedenen Abrechnungsmodelle bedeuten, dass man als SDL entweder auf Prozente arbeitet, also anteilig eine Provision pro Zimmer (30-50% ist üblich) zahlt – ähnlich auch in Escort Agenturen oder Tages- und Wochenmieten. Bei einer 50% Regel steht der Betreiber bereits unter Zuhälterverdacht und wird von den Behörden argwöhnisch beäugt.
Im FKK Club liegen die Eintrittsgelder von SDL UND Kunden z.B jeweils bei ca. 70€/Tag. Dies entspricht zusammen der Tagesmiete mancher Bordelle, die auch höher ausfallen können z.B. 180€/Tag.
Beschränkter Schutz im Bordell
Es ist keineswegs so, dass Sexdienstleister:innen in Bordellen automatisch in einem sicheren und geschützten Umfeld arbeiten können. Und selbst wenn es Alarmknöpfe und Security gibt, können Überraschungsmomente im Zimmer entstehen, wenn die SDL allein mit einem Gast ist. Da ist im Regelfall auch niemand in der Nähe, der die Hilferufe hört. Wenn der Hals oder Mund zugedrückt wird, sind noch nicht einmal Schreie hörbar oder der nächste Alarmknopf erreichbar. Insofern gibt es keine Garantie für 100%igen Schutz. Ähnlich wie bei häuslicher Gewalt, wo man Menschen in den Nahbereich lässt.
Es gibt natürlich auch Bordelle mit einer sehr aufmerksamen Security und Videoüberwachung, wo Kunden sofort am Eingang abgewiesen werden, wenn sie den Eindruck vermitteln, Drogen oder/und Alkohol konsumiert zu haben. Dies erhöht sonst nämlich das Gewaltrisiko in den Zimmern. Und dies wissen auch verantwortungsbewusste Betreiber:innen.
Lange Wartezeiten schlagen aufs Gemüt
Ich habe auch in 20 verschiedenen Bordellen in Berlin gearbeitet sowie in Terminwohnungen und Laufhäusern in Deutschland, Norwegen, der Schweiz, Großbritannien und anderen europäischen Ländern. Allerdings hatte ich dort einige negative Erlebnisse mit Kunden und Kolleginnen sowie Frauen in Zwangssituationen kennengelernt.
Die Zeit des Wartens zwischen den Kunden sowie die Vorstellungsrunden, schlechtgelaunte Kolleginnen mit wenig Umsatz gingen mir auf die Nerven und die Wartezeit ging von meiner kostbaren Lebenszeit ab. Deshalb hab ich mich selbständig gemacht, auch wenn man damit nicht unbedingt mehr Geld verdient, wie sich zeigen sollte.
Aber mit einer Selbständigkeit geht mehr Verantwortung einher, man muss sich um alles selber kümmern, Steuern zahlen und sich um die Altersvorsorge kümmern. Deshalb bevorzugen ja viele Sexworker, im Bordell zu arbeiten, da sie dort keine langen Wege zum Kunden haben und auch weil der Umsatz im Verhältnis zum Aufwand meist gut ist. Z.B. in FKK Clubs. Natürlich nicht für alle anwesenden Sexworker. Es gibt welche, die laufen sehr gut und verdienen entsprechend viel Geld und können sich auch eine Stammkundschaft aufbauen, und andere weniger. Meist liegt es an Aussehen, Service und Ausstrahlung.
Das Bordell der Zukunft
Das häufig diskutierte Bordell der Zukunft ist ein genossenschaftliches, also Mitarbeiter geführtes Bordell, wo die Sex-Arbeiter:innen für ihre Arbeit nicht mit Wucher Mieten drangsaliert werden, sondern Anteile am Besitz des Bordells erwerben. Diese Teilhabe wäre damit auch automatisch ein Schritt in die Altersvorsorge und der größte Gewinn würde sich nicht in den Händen der Betreiber:innen konzentrieren.
Dies ist natürlich kaum möglich bei tourenden Sexarbeiter:innen, die die Arbeitsorte ständig wechseln. Und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum es bislang keine erfolgreichen Kooperativen in Deutschland gibt. Bei einem genossenschaftlich geführten Bordell bedarf es der längerfristigen Bindung an das Bordell und vertraglichen Verpflichtungen und Verantwortung. Mit höherer Verweildauer an einem Ort verdienen allerdings die Damen zunehmend weniger Geld, weshalb sie lieber als „neues Gesicht“ von Stadt zu Stadt touren.
Also ist das nur ein Geschäftsmodell für Huren, die sich an einem Ort niederlassen wollen und regelmäßig dort arbeiten. Die Mehrheit der Sexworker in Bordellen sind oft mobile Migrant:innen ohne festen Wohnsitz in Deutschland. Andere arbeiten direkt von einer Wohnung aus.
Keine gewerkschaftliche Organisation
In diesem Zusammenhang ist die Tatsache interessant, dass sich Huren seit 2002 auch gewerkschaftlich organisieren können (Z.B. bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi), es aber kaum tun. Die Gründe sind ähnlich wie bei Schauspieler:innen. Sie arbeiten als Selbständige und nicht als Angestellte, wo z.B. ein Betriebsrat möglich ist, der Arbeitnehmerrechte durchsetzt. Außerdem haben sie Angst, ihre Arbeitsplätze zu verlieren, wenn sie sich als Arbeitnehmer organisieren und gegenüber dem Betreiber den Mund aufmachen. Wie dies ja auch für viele Branchen gilt.
Allerdings kann man international sehen, dass sich durchaus manche Sexworker in Betrieben organisieren, z.B. Stripper in den USA und Großbritannien und auch als unabhängig Sexarbeiter:in Rechte erstreiten können, die normalerweise nur Arbeitnehmer erhalten z.B. Krankenversicherung, Mutterschutz etc.
In Thailand (Chang Mei) gibt es ein von Sexworkern kollektiv geführtes Lokal, die Can do Bar. Auch kann man in Ländern wie Neuseeland, wo Sexarbeit vollständig entkriminalisiert ist und die Sexworker dank der Lobbyarbeit der starken Sexworker Organisation New Zealand Prostitutes Collective ihre Rechte kennen, auch rechtliche Schritte gegen Betreiber einleiten, wie es auch in der Vergangenheit bereits geschehen ist.
Insofern kann es für beide Seiten eine Win-Win Situation geben, wenn Arbeitsstandards eingehalten werden und keine Wucher-Mieten gezahlt werden müssen. Wenn Manager vom Selbstverständnis auch Dienstleister:innen für Sexworker sind. Auch wenn sich Prostitutionsgegner:innen Bordellverbote herbeisehnen: mit den geforderten Sexkauf- oder Prostitutionsverboten schaffen sie nur illegale Prostitution, wo niemandem geholfen ist und Sexworker unter riskanten Bedingungen arbeiten und überleben müssen.
Gastbeitrag von Susi (Kaufmich)