Prostitution 2017 – Debatte über staatlich geförderte Sexualassistenz
Am vergangenen Wochenende gelangte das Thema „Staatlich geförderte Sexualassistenz“ durch eine Pressemeldung in der Bild am Sonntag in die breite Öffentlichkeit und die sozialen Medien sind natürlich sofort eingestiegen: auf Facebook und Co. wimmelt es von Kommentaren und die Mitbürger äußern emsig ihre Meinungen zu den Vorschlägen von Elisabeth Scharfenberg, der pflegepolitischen Sprecherin der Grünen.
Scharfenberg hatte angeregt, sexuelle Dienstleistungen für Pflegebedürftige und Behinderte finanziell zu fördern, was von bekannten Politikern sofort energisch zurückgewiesen wurde. Karl Lauterbach (der SPD-Gesundheitspolitiker mit der markanten Fliege) bezeichnete des Vorschlag als „abwegig“ und erklärte, dass er „bezahlte Prostitution in Altenheimen“ ablehne!
Nun kann man sich ja schon seit einigen Jahren „Sexualassistentinnen“ und wahrscheinlich auch „Sexualassistenten“ ins Pflegeheim bestellen, wenn man denn über die entsprechenden Mittel verfügt und wenn das Heim dies zulässt, aber wenn man zu einem Pflegefall geworden ist, bleibt durch die hohen Kosten für das Pflegeheim in vielen Fällen trotz guter Rente nur noch ein geringes Taschengeld übrig. So kann man sein Bedürfnis nach Nähe und Sexualität schwer stillen, da man den Preis für Dienstleistung kaum aufbringen kann.
In einem Interview bei „Zeit online“ wurde jetzt Frau Gabriele Paulsen zum Thema befragt. Sie ist die Chefin von „Nessita“, einem deutschen Dienstleister für sexuelle Assistenz bei Demenzpatienten und in Altersheimen und sie wehrt sich in der Befragung gegen die Einordnung ihrer Dienstleistung unter „Prostitution“, da ihre Mitarbeiterinnen keinen oralen und vaginalen Dienste anbieten, sondern lediglich eine manuelle Entspannung bieten. Dies sei nicht erlaubnispflichtig und von allen anderen Dingen würde sie sich distanzieren.
Nun gut, momentan hat sie noch recht, aber streng genommen wird auch dieser Geschäftszweig ab 1. Juli 2017 unter den „Prostitutionsbegriff“ fallen, da eben eine sexuelle Handlung stattfindet und dafür Geld genommen wird.
Können Sie sich vorstellen, dass Opa Rudi von seinem Pflegebett aus im örtlichen Bordell anruft und dann eine Dame in den „Seniorenstift St. Blasisus“ bestellt? Nein? Dann fehlt Ihnen einfach die Fantasie! Sexuelle Begierden gibt es bis ins hohe Alter und auch im Altenheim gibt es natürlich Bedarf Sexualität zu erleben. Daher gibt es solche Anrufe wirklich, wobei es aber eben nur wenige gibt, die sich wirklich auf den Weg machen. Da gibt es durchaus Hemmschwellen: einen pflegebedürftigen Menschen mit körperlichem oder geistigem Handikap im Altenheim zu erfreuen, klingt schon etwas merkwürdig und hat mit der klassischen „20-Minuten-Nummer“ im örtlichen Bordell wenig gemein. Daher werden viele Bestellungen von lokalen Anbietern wohl eher als Spaß aufgefasst, zumal es auch sicher eine Überwindung ist, sich als Sexworker(in) vor Ort bei der Pflegedienstleitung anzumelden, um eben bei unserem fiktiven Rudi tätig werden zu können.
Übrigens berichtet Gabriele Paulsen im schon genannten Interview, dass die Bestellung von Dienstleisterinnen oftmals von Familienangehörigen übernommen wird! Will man dem Opa dann zum Geburtstag eine Freude machen oder ist das gesellschaftlich inzwischen normal? Die Eltern gehen mit Freunden in den Swingerclub, Vati bestellt sich auf Geschäftsreisen eine Escort-Lady ins Hotel, Mutti bekommt den jugendlichen Callboy und dem armen Opa schicken wir eine frivole Assistentin ins Heim? Deutschland im Jahr 2017?
Ich möchte aus dem Thema jetzt keine Klamotte machen, bei der wir uns die bewegten Bilder im Kopf vorstellen, denn ich gönne den alten Menschen Nähe, Zärtlichkeit und Sex absolut. Es ist ja schon schlimm genug, irgendwann seine gewohnte Umgebung aus gesundheitlichen Gründen verlassen zu müssen. Im Altenheim „natürliche“ Sexualpartner zu finden, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein! Daher sind Organisationen wie „Nessita“ wichtig, da sich dort Dienstleisterinnen versammelt haben, die eben mit der speziellen Aufgabe umgehen können und dafür auch von erfahrenen Kolleginnen geschult werden. Eine berufliche Vorbildung im Bereich „Krankenpflege“ ist oft vorhanden, da der Umgang mit kranken und gebrechlichen Menschen ja auch im medizinischen Sinne schon gewisse Anforderungen stellt und man dies im Blick haben muss, um keine Schäden anzurichten!
Wenn die „Zeit“ nun zum Thema mit „Förderung der Prostitution“ und „Zuhälterei“ titelt, so halte ich dies für extrem fragwürdig! Auch wenn es als Frage formuliert ist, geht das am Thema eigentlich total vorbei und erfüllt nur den Schlagzeilen-Zweck: die Leserin und der Leser sollen angelockt werden und dies geht am besten mit reißerischen Parolen!
Die Ausgangsfrage, ob der Staat aus den Pflegekassen für Sexualassistenz zur Verfügung stellen sollte oder ob Krankenkassen eventuell bereit sind, für solche Dienstleistungen zu zahlen, wird unsere doch recht konservative Politik wohl langfristig verneinen. Wenn man bedenkt, dass man im Kranken- und Pflegebereich schon seit Jahren Einsparungen vornimmt und dass viele notwendige Hilfsmittel nicht oder erst nach mühsamen Antragsverfahren bewilligt werden, ist es kaum vorstellbar, dass Sexualassistenz, so wichtig sie auch sein möge, zu einer staatlich subventionierten Leistung werden kann.
In einer Gesellschaft, die immer älter wird, werden die Kassen im Kranken- und Pflegebereich in den kommenden Jahrzehnten immer leerer werden und da gibt es dann keine Spielräume für sehr spezielle Leistungen, die man zudem für moralisch fragwürdig befinden kann und die, zumindest auf den ersten Blick, nicht unbedingt dem Gemeinwohl dienen. So wird es im Bereich der bezahlten Erotik, hier wie dort, bleiben wie es ist: „Ohne Geld keine Liebe!“ oder als Parallelismus membrorum formuliert:
„Wer keine Mäuse hat, der kann sich leider kein Kätzchen leisten!“
Das ist doch meines Erachtens genau das eigentliche Ziel des neuen Gesetzes: die Prostitution „umfassend“ zu definieren. Das allein ist ja vielleicht noch legitim und auf den ersten Blick „nicht so schlimm“. ABER: Die juristische Definition deckt sich nicht mit der sozialen, gesellschaftlichen Ansicht. Und so sträuben sich bei vielen Menschen die Haare, wenn sie das Wort Prostitution hören, weil bei ihnen der Begriff enger definiert ist. Nach dem neuen Gesetz ist darunter allerdings eine bunte Vielfalt zusammengefasst. Diese Diskrepanz lässt sich nun medial, emotional etc. wunderbar ausschlachten – dem Opa Rudi soll doch keine Prostituierte finanziert werden! Ich unterstelle dem Gesetzgeber, dass er nicht wirklich Prostituierte schützen will, sondern sich des ganzen Themas entledigen möchte.