„Ein Plädoyer für das Tabu“ … Kolumne by Ariane
Ob Escorts, Taschengeld Ladies, Hobbyhuren, Professionelle, und was es alles noch für Bezeichnungen gibt: Seit Jahren frage ich mich, warum sich viele interessierte Aussenstehende, aber auch Kunden, so schwer damit tun, zu akzeptieren, das Escorts ein Privatleben haben, wie jeder andere auch, und das der Job und ein Teil ihres umtriebigen Lebens nicht von bezahltem Sex regiert wird. Viele von uns haben Familie, sind Mütter.
Das Private wird in vielen einschlägigen Foren und Diskussionsrunden, bei Dates und Medienanfragen immer und immer wieder zum Thema gemacht. Darüber habe ich lange und tief nachgedacht.
Ist es der Gegensatz Engel – Hure? Reinheitspostulat vs. ausserhäusigem Schmuddelsex? Ist es Kontrolle und der omnipotente Wunsch, alles über Prostituierte wissen zu wollen? Ist es nur Neugier und Voyeurismus? Ist es die Illusion der Dauerverfügbarkeit, die sexuelle Verfügbarkeit an sich, die Huren umkreisen? Ist es die Vorstellung, dass alle Huren isoliert und verstossen von der bürgerlichen Welt sind, nur auf Anrufe und Kunden wartend, eventuell auf einen Retter, der sie in ihrem Schicksal erlöst?
Gibt es auf Kundenseite tatsächlich die Vorstellung, dass ein Escort exklusiv sein muss, im Sinne, sich nur für den Allereinzigen bereit zu halten? Und falls ja, warum wird diese Illusion immer wieder in Frage gestellt, wenn ein Escort so tut als ob? Warum fragt man privates ab, den richtigen Namen, obwohl man sich des Sinns eines Künstlernamens doch durchaus bewusst ist? Dem Schutz der Identität und all das.
Warum sind die Medien, Journalisten, Wissenschaftler, Studenten häufig so erpicht darauf, das Leben von Prostituierten auszuleuchten?
Das Verruchte und Faszinierende, das, was man dem P6, dem Rotlicht zurechnet, spielt sich doch im Geheimen ab, diskret und hoffentlich geschützt, erhält durch die Grenzüberschreitung und damit indirekt von eigenen bürgerlichen Moralvorstellungen genährt erst den Charme des Verbotenen.
Und dafür möchte ich einfach mal plädieren, und zwar öffentlich. Für das Geheimnis, und nicht die Hosen runterzulassen bei allen Fragen, die das Private berühren. Es sei denn, die Dame hat ein dringendes Mitteilungsbedürfnis und den Wunsch aufgrund einer gewissen Vertrautheit mit einem bestimmten Kundenmann, ihr Privates preiszugeben, mit dem er doch verantwortungsvoll umzugehen weiss.
Meiner Meinung liegen die Ursachen für all diese Fragen, die an eine “öffentliche” Frau herangetragen werden, in der Vorstellung einer potentiell für jedermann “verfügbaren” Frau, in einem Besitzanspruch und der zunehmenden Aufweichung der Grenzen zwischen privat und öffentlich, wozu das Internet nicht unerheblich beiträgt.
Es gibt einen Punkt, über den ich immer stolpere, wenn ich darüber nachdenke: die Vermischung von privat und öffentlich kommt auch dadurch zustande, indem persönliche, rein menschliche Bedürfnisse nach sozialem Kontakt, Nähe, Sex, Austausch zunehmend in Beziehungen nicht mehr befriedigt werden.
Der bezahlte Sex ist nicht mehr so ohne weiteres abgrenzbar von Privatheit, ausser künstliche und persönliche Grenzen zu definieren und durchzusetzen. Viele Grenzen, die das Geschäft in früheren Tagen bestimmten, sind gefallen. Küssen war ein Unding, Falle schieben weitverbreitet. Heute werden viele Praktiken tabulos und ohne Schutz angeboten, der hohen Kundennachfrage und des ökonomischen Drucks offenbar geschuldet, die gesundheitlichen Risiken verdrängt.
Typisch ist dabei auch die Girlfriend-Erfahrung, wo auch der Wunsch und das Angebot von Zungenküssen besteht. Um garnicht erst den Anschein zu erregen, dass man es mit einer sog. Professionellen zu tun hat. Das Girlfriend ist sprachlich eng mit der Rede vom Sugarbaby verwoben; beides deutet auf den ersten Blick nicht auf Prostitution hin.
Ob es eine Mode unserer Zeit wird, Prostitutionsportale in Sugardaddy-Portale wie in den USA zu firmieren? Ursprünglich der Rechtslage dort geschuldet. Oder der Tatsache, den negativen Beigeschmack der „Käuflichkeit“ ausblenden zu wollen, die Intimität an dieser Stelle also zu privatisieren? Die Affäre, die Geliebte, die für einen Beitrag X über den Zeitraum Y finanziell ausgehalten wird, sich allerdings nur für den Allereinzigen bereit hält.
Ist die Hure deshalb ein Schreckgespenst und Konkurrenz für die bürgerliche Frau geworden? Oder könnte man nicht sagen, dass Hurerei in der ein oder anderen Weise ein gesellschaftliches Gesamtphänomen ist und die exklusive Liebe und der Sex verbunden mit einer absoluten Treue-Vorstellung von den Wirklichkeiten längst überholt wurde? Das es auch völlig normal ist, geldwerte Vorteile rauszuschlagen und den Umschlag durch eine Prada-Tasche, also durch Geschenke, zu ersetzen?
Die Vorstellungen von Beziehung und Partnerschaft weichen auf, sind nicht mehr der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft vorenthalten; Sex und Liebe wird mit zunehmendem Alter, Erfahrungswissen von vielen immer weniger exklusiv gedacht. Mann hat seine Stammfrauen in Bordellen oder im Escortbereich, viele wollen nicht permanent wechseln. Scheidungen allerorten: mehr als jede dritte Ehe wird geschieden.
Häufige Trennungen und Beziehungswechsel, Frauen, die einen anderen Lifestyle mit wechselnden Partnern bevorzugen, werden selbstbewusster und sind häufiger anzutreffen. Ein Emanzipationsfortschritt könnte man sagen. Auch für jene, die sich eine lebenslange Partnerschaft mit dem gleichen Mann, der gleichen Frau nicht mehr vorstellen können oder die Suche nach dem passenden Partner längst aufgegeben haben.
Vielleicht sind deshalb viele Ehefrauen den Huren gram, die anderswo über den „Betrug“ durch Sexarbeiterinnen diskutieren und weniger über die Ursachen des „Fremdgehens”? Werden sie überflüssig gemacht, die Ehefrauen? Und was treibt die Männer aus dem Haus? Sind nicht viele Frauen froh, selbst keine „eheliche Pflichten“ erledigen zu „müssen”? Frag ich mal blasphemisch.
Die Wahrnehmung, das eine Prostituierte potentiell für jeden verfügbar ist und sich daraus die Vorstellung ableitet, dass sie als Frau und Mensch kein Privatleben besitzt, sagt in dieser Perspektive vieles über die Kritikerinnen selbst aus, weniger über die Prostituierten. Wer macht hier wen zum Objekt? Und ein Job, der mit Animalischem Geld verdient, der Natur der Menschen geschuldet, ist dann also kein Beruf? Weshalb Huren für das mangelnde soziale Ansehen bluten müssen und weiterhin stigmatisiert bleiben? Summa summarum besteht wohl bei vielen Menschen die Vorstellung, das uns privat niemand begehrt und liebt, „weil“ wir Huren und in ihren Augen nicht gesellschaftsfähig sind.
Eben aufgrund des geringen gesellschaftlichen Ansehens und dem Schutz ihres Privat- und Intimlebens können und wollen die allermeisten Sexworker nicht öffentlich werden und ihr privates und intimstes veröffentlichen, wie manche in anonymen Forenwelten tagein, tagaus damit ihr Geschäft am laufen halten. Daher lebt der Markt von Erfahrungsberichten, die Bewertung „der Performance” einer Anbieterin und der intimste Sexakt wird öffentlich gemacht. Darüber haben viele Escorts keine Kontrolle, obwohl es ihre Würde berührt und nicht Teil der bezahlten Dienstleistung ist. Eigentlich sind wir gar keine öffentliche Frauen, auch wenn ein paar Bilder im Netz rumstehen. Wir lieben still und heimlich und treffen ausgewählte Kunden diskret.