Prostitutionsgesetz: Wie funktioniert denn eine Verfassungsbeschwerde?

Bildquelle: Pixabay

Bildquelle: Pixabay


Verfassungsbeschwerde – Schwere Kost in Karlsruhe:

Ausgelöst durch den gestrigen Aufruf von Dona Carmen e.V. aus Frankfurt/Main, haben mich heute einige Anfragen erreicht, wo man mich mit der „Verfassungsbeschwerde“ konfrontierte und mich um eine Einschätzung des Vorhabens bat. Da ich vor einigen Wochen in einem Forum schon einmal mit diesem Thema in Berührung gekommen bin und sich diesbezüglich ein recht heftiger Diskurs entwickelte, greife ich die Frage heute nochmals auf, damit es nicht wieder zu Verwirrung kommt, die niemandem nützt.

Die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, ihre durch die Verfassung garantierten Grundrechte gegenüber dem Staat durchzusetzen, wenn also beispielsweise durch neue Gesetze, wie im vorliegenden Fall, die Grundrechte womöglich eingeschränkt oder aufgehoben werden.

Die Verfassung, womit das Grundgesetz gemeint ist, ist in der deutschen Gesetzeshierarchie das Gesetz, was über allen anderen Gesetzen steht und mit dem keziprok betrachtet alle anderen Gesetze im Einklang stehen müssen. Das Grundgesetz ist also das Maß aller Dinge und damit die letzte Entscheidungsinstanz für die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit anderer Gesetze.

Mit einer Verfassungsbeschwerde löst man also eine außerordentliche Überprüfung aus, bei der von Deutschland höchstem Gericht, dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, in einem Verfahren geprüft wird, ob ein Gesetz oder eine sonstige staatliche Verordnung im Widerspruch zum Grundgesetz oder zu grundrechtsgleichen Rechten steht, ob ein solches Gesetz schon bei der Gesetzgebung (Legislative) mit der Verfassung kollidierte oder ob  ein Gericht (Judikative) oder eine Behörde (Exekutive) das Gesetz u.U. fehlerhaft anwendet.

Mit der Verfassungsbeschwerde können also Hoheitsakte aller 3 staatlichen Gewalten (Gesetzgebung, Rechtssprechung und Rechtsausübung) angegriffen werden. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts stehen dabei konkret „über den Gesetzen“, natürlich mit Ausnahme des Grundgesetzes und der grundrechtsgleichen Gesetze, die ja ausschließliche Richtschnur der Beurteilung sind!

Wäre dieser Artikel eine Jura-Klausur, müsste ich jetzt die diversen Grundrechte und die grundrechtsgleichen Rechte erläuternd auflisten, was aber den Rahmen zu sehr sprengen würde und für das Verständnis des vorliegenden Falls nicht unbedingt notwendig erscheint. Viel interessanter ist doch die Frage, welche Grundrechte Dona Carmen e.V. gefährdet sieht, wenn das neue Prostituiertenschutzgesetz in Kraft tritt und Anwendung findet.

Ein lupenreines Repressions-Gesetz – unsere Grundrechte werden ausgehebelt!

So steht es aktuell auf der Homepage des Vereins für soziale und politische Rechte von Prostituierten. Danach folgt die Auflistung der Ansatzpunkte für die Verfassungsbeschwerde:

Grundrechte von Sexarbeiter/innen und Betreiber/innen von Prostitutions-Etablissements werden systematisch aushebelt:

verletzt wird Art. 12 Grundgesetz („Freiheit der Berufswahl“) durch eine die berufliche Mobilität einschränkende diskriminierende Meldepflicht, einen stigmatisierenden Hurenpass und jederzeitige, anlasslose Überwachung;

verletzt wird Art. 13 Grundgesetz („Unverletzlichkeit der Wohnung“) durch jederzeitige Überwachung von „Orten“, an denen der Prostitution nachgegangen werden kann (gemeint sind damit auch Privatwohnungen…);

verletzt wird Art. 2 Grundgesetz („Allgemeines Persönlichkeitsrecht“) durch Zwangsouting im Rahmen einer Meldepflicht für Prostituierte, durch Einführung eines Ausweisdokuments speziell für Prostituierte („Hurenpass“) etc.;

verletzt wird Art. 3 Grundgesetz („Gleichheit vor dem Gesetz“) mittels durchgängiger gewerberechtlicher Ungleichbehandlung.

Am Beginn des Befassungsbeschwerde-Verfahrens steht immer die Behauptung, dass Gesetze, Erlasse oder Verordnungen gegen die verbürgerten Grundrechte verstoßen. Dazu würde im ersten Schritt die Auflistung von Dona Carmen schon ausreichen. Wichtig ist dabei übrigens, dass die beschwerdeführende Person von dem Gesetz persönlich betroffen sein muß! – Beschwerdemöglichkeit ist sowohl für natürliche wie juristische Personen (z.B. Verein) möglich.

Auf den vorliegenden Fall bezogen, könnten Beschwerden von Prostituierten und Bordellbetreibern erfolgen oder eben von Verbänden, die diese Gruppen kollektiv vertreten. Auch ein Freier könnte theoretisch klagen, weil ihn ja die Kondompflicht des neuen Gesetzes trifft, aber diese Anmerkung mag man dann doch eher als „Kalauer“ verstehen!

Im Fall des neuen Prostitutionsgesetzes haben wir es übrigens mit einer besonderen Form der Verfassungsbeschwerde zu tun, die sich „Rechtssatzverfassungsbeschwerde“ nennt, mit der Gesetze direkt angegriffen werden können, auch wenn diese vorab noch keine Auswirkungen wie Verurteilungen oder amtliche Verfügungen ausgelöst haben und sich noch kein Gericht mit dem neuen Gesetz befasst hat. Es geht hier um den Grundsatz an sich und die Beschwerde soll, vereinfacht formuliert, verhindern, dass das Gesetz überhaupt zukünftig Anwendung finden kann.

Die Verfassungsbeschwerde ist kostenfrei, was die reine Gerichtsbarkeit anbelangt. Die „Behauptung“, von der wir eben schon gelesen haben, und auch die schriftliche Begründung kann auch ganz ohne Hilfe eines Anwalts rechtswirksam beim Bundesverfassungsgericht als Beschwerde eingereicht werden. Allerdings ist das nicht wirklich zu empfehlen, da wir ja beim Bundesverfassungsgericht in der juristischen Champions-League angekommen sind, wo man auf fundierte Schriftsätze durchaus großen Wert legt und wo ein unsachgemäßer Vortrag dem Anliegen sehr schaden kann. Wenn es zu einer mündlichen Verhandlung kommen sollte, ist der Rechtsanwalt oder ein geeigneter „Rechtslehrer“ (Jura-Professor mit Befähigung zum Richteramt) allerdings wieder vorgeschrieben.

Doch so weit sind wir noch nicht! – Denn zunächst muss das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde erst einmal zulassen. Es findet eine Vorprüfung statt, bei der das Gericht prüft, ob die Angelegenheit grundsätzlich verfassungsrechtliche Bedeutung hat und ob der Beschwerdeführer in diesem Kontext wirklich ein besonders schwerer Nachteil entsteht!

Wenn wir jetzt die aufgeführten Punkte von Dona Carmen e.V. betrachten, ist durchaus davon auszugehen, dass die Beschwerde zugelassen werden wird, zumal mit dem Meinhard Starostik, Richter am Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin und zudem Rechtsanwalt, ein erfahrener Jurist für die Durchführung des Verfahrens gewählt wurde, der bereits erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vertreten hat und über hohe fachliche Kompetenz verfügt. Dass Starostik eine Verfassungsbeschwerde einreicht, die den Ansprüchen nicht genügt, kann man wohl gänzlich ausschließen!

Wie lange dauert die Bearbeitung einer solchen Verfassungbeschwerde im Durchschnitt?

Das Bundesverfassungsgericht gibt auf seiner Homepage folgende Durchschnittswerte an: 64,2 % der Verfahren dauern bis zu einem Jahr, 21,8 % der Verfahren bis zu 2 Jahren. Also ist statistisch davon auszugehen, dass das Verfahren zum Prostitutionsgesetz nicht mehr in 2017 abgeschlossen sein wird und das Gesetz a) zum 1. Juli 2017 in Kraft tritt und b) auch die Übergangsfristen, die bis zum 31. Dezember 2017 laufen, nicht zur Erledigung ausreichen werden. Die Anmeldepflichten und die Konzessionierungen werden also für die Betroffenen zu erledigen sein!

Ich stelle mir in diesem Zusammenhang die Frage, ob nicht ein Eilverfahren (einstweilige Anordnung) das probate Mittel gewesen wäre oder auch jetzt ist.

In § 32 des Bundesverfassungsgerichtsgesetz lesen wir:

(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

Nach diversen Rechtsmeinungen, die ich in diversen Foren vorgefunden habe, ist strittig, ob das Eilverfahren im vorliegenden Fall zugelassen wird, weil die Anforderungen für die einstweilige Anordnung noch erheblich höher sind als im sogenannten Hauptverfahren. Die Argumente der Antragsteller müssten nämlich so schlagkräftig und überzeugend sein, dass das Bundesverfassungsgericht ohne intensive Prüfung nur diesen folgen würde und die Nachteile müssten zudem so groß sein, dass nur durch sofortige Anordnung schwere Nachteile verhindert werden könnten.

Kontext-Frage Nr. 2: Dona Carmen sucht Unterstützer für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren und erwähnt, dass der Rechtsanwalt Meinhard Starostik laut Wikipedia bei der von ihm geführten erfolgreichen Verfassungsbeschwerde zur Vorratsdatenspeicherung in 2007 um die 35.000 Sammelkläger als Bevollmächtigter vertreten hat. Wie kann das sein?

Sammelklagen gibt es zwar in den USA, aber im deutschen Rechtssystem sind diese nicht vorgesehen! Im deutschen Recht gibt es keine Gruppenbetroffenheit und die Begrifflichkeit ist von Wikipedia leider leicht falsch gewählt.

Aber: vor dem Bundesverfassungsgericht gibt es durchaus die Möglichkeit „gemeinsam“ Beschwerde zu erheben, da der Art. 19 Abs. 4 GG feststellt:

„Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.“

Dieser „jemand“ muss keine Einzelperson sein, vielmehr können sich Gruppen bilden, die den gleichen Vortrag führen, wie es eben beim Verfahren zur Vorratsdatenspeicherung der Fall war. Das entspricht dann in etwa einer „Streitgemeinschaft“.

Wie auch immer: wenn sich eine Vielzahl von Personen der Verfassungsklage von Dona Carmen anschließt, erzeugt dies natürlich öffentlichen Eindruck, erzeugt jede Menge Akten, da ja alle Beschwerdeführer erfasst und angeschrieben werden müssen und birgt auch die Gefahr, dass dies das Verfahren verzögert oder verlängert. Das kann aber sicher nicht Sinn der Sache sein.

Lange Rede … kurzer Sinn: ich werde in den kommenden Tagen einmal bei Dona Carmen anfragen, wie genau vorgegangen werden soll und auch einmal den Berliner Rechtsanwalt diesbezüglich anschreiben. Die Details interessieren mich einfach sehr!

Wenn man mich nun abschließend nach meiner persönlichen Bewertung fragt, komme ich anhand der mir momentan vorliegenden Informationen zu folgendem situativen Ergebnis:

1. Die von Dona Carmen genannten Beschwerdepunkte sind stichhaltig und haben einen klaren Bezug zu den Grundrechten. Somit dürfte die Beschwerde absolut zulässig sein!

2. Der beauftragte Rechtsanwalt ist Experte auf dem Gebiet Verfassungsbeschwerde und wird die Beschwerde ganz sicher hervorragend begründen!

3. Falls nicht doch noch (zusätzlich) ein Eilverfahren angestrengt wird, wird die Beschwerde im Hauptsache-Verfahren das In-Kraft-Treten des Gesetzes nicht verhindern, weil diese das In-Kraft-Treten voraussetzt  und das Gesetz wird, egal wie die Beschwerde ausgeht, wegen der durchschnittlichen Bearbeitungzeit auch Anwendung finden inklusiv Anmelde- und Konzessionspflicht!

4. Zu den konkreten juristischen Inhalten kann ich mich beim besten Willen nicht äußern, da ich kein Verfassungsrechtler bin und hier nur aus dem Bauch heraus „dumm“ argumentieren könnte!

Autor: Howard Chance – Publizist – 26.10.2016



Update vom 27.10.2016:

Mailkontakt mit Herrn Rechtsanwalt Meinhard Starostik

Wie angekündigt, habe ich heute Mailkontakt zu Herr Starostik aufgenommen, der meine Anfrage innerhalb weniger Stunden beantwortet hat. Zum Thema „Sammelklage“ schrieb er

Was die Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung angeht, haben Sie Recht. Es handelte sich nicht um eine „Sammelklage“ im rechtstechnischen Sinn, sondern um ca. 35.000 Verfassungsbeschwerden, die zusammengefasst waren. Hierbei waren die Verfahren ohnehin aufgesplittet, weil aus Zeitgründen am 31.12.2007 nur die Vollmachten von acht „Musterbeschwerdeführern“ zur Verfügung standen.

Zur geplanten Vorgesehensweise bei der Verfassungsbeschwerde, konnte Herr Starostik verständlicherweise keine konkreten Angaben machen. Zur Frage nach der Möglichkeit eines Eilverfahrens, verwies er auf zwei Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts, in denen nochmal die besonders hohen Anforderungen für einstweilige Anordnungen umfangreich dargestellt werden. Einstweilige Anordnungen ergehen demnach nur in absoluten Ausnahmefällen, wenn wirkliche objektive Eilbedürftigkeit des Anliegens vorliegt und die Allgemeinheit in ihren Grundrechten massiv beeinträchtigt wird!

Beim Prostituiertenschutzgesetz ist dies für mich nicht erkennbar! – Zum einen ist die Allgemeinheit (worunter ich mehr oder weniger alle Bürgerinnen und Bürger des Staates verstehe) nicht betroffen, sondern „nur“ eine Minderheit; zum anderen denke ich, dass die Beschwerdegründe nicht schwerwiegend genug sind, um das Gesetz im Eilverfahren zu stoppen!