Prostitution 2017 – Newsletter Howard Chance – 23. März 2017
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich war auch im Monat März wieder umfangreich unterwegs und habe dabei viele neue Eindrücke gewonnen, die meine persönliche Wahrnehmung deutlich prägen:
So gibt es in Deutschland Regionen, in denen das Gewerbe nach wie vor floriert, aber leider auch Städte und Kreise, wo Sexwork nicht mehr so richtig läuft! – Grob betrachtet ist der berühmte Weißwurst-Äquator hier die Grenze: wenn man in Frankfurt/Main eine horizontale Linie zieht, bekommt man das oberflächliche Ergebnis. Im Süden klingelt es in den Wohnungsbordellen weitaus häufiger als im Norden oder Osten. In NRW sind manche Großstädte tot, andere hingegen recht lebendig.
Als Sexworkerin auf Reisen, kann man sich die anzufahrenden Regionen aussuchen, aber einen bestehenden Club kann man ja in der Regel nicht umziehen und so muss man mit dem Vorlieb nehmen, was die eigene Region bietet und weiter das Feld beackern.
Wenn man nun liest, dass das Land NRW für eine Bordell-Konzession bis zu 2.500 € verlangt und eine Zuverlässigkeitsprüfung im Extremfall 1.000 € kosten wird, schlägt es Betreibern von Kleinbetrieben schon auf den Magen: schlechtes Geschäft und dann noch kräftig zur Kasse gebeten werden! Prost Mahlzeit!
In Bayern will man, im Gegensatz zu NRW, auch von den Sexworkerinnen Gebühren erheben und im Vorbeigehen dann noch freiwillige Zusatzleistungen verkaufen, die den städtischen Kassen zufliessen sollen.
Wie wäre es mit einem HIV-Test? Kann ja nicht schaden und ist heute im Angebot?
Die vielen Debatten und Meldungen haben bereits dazu geführt, dass eine Reihe von Damen aus osteuropäischen Gefilden schon jetzt nicht mehr anreisen, da man in Bulgarien und Rumänien vom neuen Gesetz gehört hat. Angeblich soll dieses schon gelten?
Man überlegt zumindest Deutschland demnächst eher zu meiden und andere europäische Staaten ins Visier zu nehmen, wo man keinen Huren-Ausweis benötigt!
Was die immer wieder aufkommende Frage nach dem Baurecht anbelangt, scheint Deutschland eine Republik der „geduldeten Erotikbetriebe“ zu sein. Das Krefelder Eroscenter ist aktentechnisch ein „Hotel garni“, wo keine Sexsteuer erhoben wird und auch mit Bordellen in Blumenläden oder alten Schneidereien hatten die Ämter bislang kein Problem.
Selbst in einem ausrangierten Kindergarten wird erotisch praktiziert und warum die örtlichen Sachbearbeiter die Akten in den hintersten Teil des Kellers getragen haben, lässt sich nicht mehr so richtig ermitteln!
Beamtinnen und Beamte der Sittenpolizei beruhigen ihre „Schäfchen“, verschweigen aber dabei, dass es nicht die Polizei ist, die demnächst über „sein“ oder „nicht sein“ entscheidet. Solche Entscheidungen fallen eher am Schreibtisch des Bau- oder Ordnungsamtes, wo dann die reine Aktenlage zähltund wo man womöglich keinen alten Schulkameraden hat, der mit etwas „good will“ für weitere Duldung sorgt!
Wenn man bei Behörden dieser Tage anruft, um sich nach dem neuen Gesetz vorsichtig zu erkundigen, fehlt es meistens an einem Fachmann für das Thema oder man hat im schlimmsten Fall von einem neuen Gesetz noch nichts gehört!
Wie kann das sein in einer Zeit, wo es Internet gibt und amtliche Mitteilungen nicht mehr mit der klapprigen Postkutsche übers Land gefahren werden?
Gut, ich höre jetzt mit den Beispielen auf, denn damit könnte man locker ein neues Buch füllen, das dann aber unter Anekdoten und lustigen Kurzgeschichten firmieren würde!
Aber lustig ist das Thema eben überhaupt nicht, weil es allenthalben an Rechtssicherheit mangelt und einheitliche Standards in der Umsetzung nicht erkennbar sind! Bestimmt letztendlich der „politische Wille“ vor Ort, spielen kommunale Einnahmen wie die Sexsteuer u.U. bei der Beurteilung eine wichtige Rolle oder laufen wir mit Schwung ins Chaos?
Wir werden im Laufe des Jahres zu jeder Menge Einzelfall-Entscheidungen kommen, selbst wenn vorliegende Umstände völlig gleich sind, aber Bundesländer unterschiedlich verfahren. Die Verwaltungsgerichte müssen schon einmal Platz für neue Akten schaffen, denn reibungslose Verfahren werden absolut nicht die Regel sein.
Ohne Ihnen Angst machen zu wollen: da kommt einiges auf uns zu und man darf den Kopf nicht in den Sand stecken oder einfach abwarten!
Während sich die Lage von Escort-Services noch vergleichsweise entspannt gestaltet, wenn man einmal darüber hinwegsieht, dass viele Escort-Ladies keine Anmeldung vornehmen möchten, so sind die Betriebe mit vorhandener baulicher Substanz doppelt bis dreifach betroffen!
Die Aufklärung, die meine Kollegen und ich momentan leisten, wird manchmal mit merklichem Kopfschütteln zur Kenntnis genommen und ab und zu werde ich als großer Geschichtenerzähler tituliert, bis ich dann das Gesetz überreiche und um eigene Prüfung bitte. Hurra! Wir arbeiten weiter und werden Strategien entwickeln, Gespräche führen und am Ball bleiben! Versprochen!
Kontext-Themen aktuell:
http://prostitution2017.de/schutzgesetz/2017/03/22/howard-chance-april-2017/
http://prostitution2017.de/schutzgesetz/2017/03/22/mh-consulting-umsetzung-prostitutionsgesetz-2017/
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