1. Juli 2017 – Der Leidartikel – ProstSchG in Theorie und Praxis – Hannover

1. Juli 2017 - Der Leidartikel - ProstSchG in Theorie und Praxis - Hannover1. Juli 2017 – Der Leidartikel – ProstSchG in Theorie und Praxis – Hannover

Hat es die Landeshauptstadt Hannover wirklich verdient, der Ort der Erstellung des heutigen „Leidartikels“ (man beachte bitte mal wieder das Wortspiel!) zu sein, nachdem ich ja gestern schon unter dem gelben Stadtschild von diversen krassen Missständen (Toilette, Ratten) in besonderen Randbereichen des Rotlichts berichtet hatte (den Artikel hier nachlesen)?

Tja, da ich momentan in Hannover ein wenig von meinen durchaus anstrengenden Reisen entspanne und gleichzeitig wichtige Korrespondenz erledige, poste ich natürlich auch aus der Stadt an der Leine, wo ich gestern am späten Abend noch investigativ unterwegs war, um nach 0 Uhr die Auswirkungen des neuen Prostitutionsgesetzes in der Praxis zu ergründen.

Was weiß man in den Eros-Centern, was tut sich im Postbank-Gebüsch und wieweit sind die Sexworkerinnen eigentlich informiert? Welche „besonderen“ Dienstleistungen werden angeboten?

Aus bekannten Gründen und um keine zuzuordnende Ordnungswidrigkeiten zu ermöglichen, werde ich weder die Namen der Bordellbetriebe, noch die Namen der Dienstleisterinnen nennen, sondern diese pseudonymisieren.

Ich war als getarnter  „Freier Dieter“ unterwegs, hatte die Geilheit im Blick und zur Unterstützung eine gut verpackte dicke wie grobe Leberwurst in der Hose, woran man eindeutig den Fachmann erkennt. Alle „Dieters“ mögen mir verzeihen!

Los ging es vom Hotel aus kurz nach Mitternacht in die roten Bezirke der Stadt. Durch den zeitweiligen Starkregen, war in Hannover-City nicht besonders viel los und der „Open-Air-Bereich“ bei der Postbank (Herschelstrasse) war „gefegt“: die sonst dort anzutreffenden Damen hatten wohl wettertechnisch kapituliert und die Hose war tot! Kein Ergebnis! Also eilte ich mit flinkem Schritt und nassem Fuß in ein größeres Eros-Center, um dort einmal Einblick zu nehmen.

Sata (Name geändert), eine asiatische Lady im mittleren Alter, winkte aus ihrem bunten Zimmer und zeigte demonstrativ 3 Finger: Standard-Service also 30 € und die monotone Beteuerung „machen gut“ fehlte ebensowenig, wie der Versuch, mich sanft ins Zimmer zu ziehen. Mein zarter Hinweis auf eine „Gummi-Allergie“, wurde mit erhobenen 5 Fingern schlüssig beantwortet. Die Andeutung, das es doch ein neues Gesetz gebe, wurde mit einem klaren Abwinken beantwortet. OK, ich wußte genug und wechselte das Haus.

Eine Latina in einem anderen Haus, deren Namen ähnlich wie „Esmeralda“ klang, war über die Frage nach „AO“ nicht begeistert.

Ihre Augen funkelten kurz auf, bevor dann das Angebot für „französisch total“ kam … aber „nix ohne in Muschi!“

Von einem neuen Gesetz wußte die Dame aus Südamerika nichts und ich glaube nicht, dass sie geschwindelt hat. Drei weitere „Befragungen“, führten zu ähnlichen Ergebnissen und ich kam zu der Erkenntnis, dass man den „Service“ zum „Stichtag“ nicht geändert hat und wahrscheinlich auch nicht ändern wird. Business as usual? Hatte ich wirklich etwas anderes erwartet?

Während sich die Bordellbetreiber große Gedanken machen und bei den Anzeigen in den Erotikportalen und auf den eigenen Webseiten alle möglichen „Reizwörter“ in Nachtschichten entfernt wurden, herrscht an der „Front“, also in den Arbeitszimmern der Dienstleisterinnen, Pragmatismus. Wie will man Stammkunden auch erklären, dass ab sofort bei allen Praktiken das ungeliebte „Gummi“ montiert werden muß?

Fast in jedem Zimmer, wo „Freier Dieter“ heute nach Mitternacht vorsprach, wäre es zu den ersten „Ordnungswidrigkeiten“ gekommen, wenn es denn zum „Äußersten“ gekommen wäre, was natürlich nicht der Fall war.

Die Dienstleisterinnen haben natürlich untereinander keine Vereinbarungen getroffen, wie man mit den „Kondomen“ nun umgeht. Würden alle Sexworkerinnen sich für eine Einhaltung der Gesetzes entscheiden, wäre ja womöglich alles soweit gut! Aber die Damen und auch Herren sind nun mal „Einzelkämpfer(innen)“ und befinden sich in einem scharfen Wettbewerb um die zahlende Kundschaft. Da macht man dann eben Kompromisse, um keine Kunden zu verlieren! Darüber moralisch zu richten, wär absolut unfair!

Mir war, durch vielfältige Gespräche in den vergangenen Monaten, klar, in welche Richtung sich die Umsetzung in den Arbeitszimmern gestalten würde, ich machte aber doch einmal die Probe aufs Exempel und denke, dass sich andere Rotlichtviertel in der Republik nicht von Hannover unterscheiden werden.

Auch im Escort-Bereich, wo oft stolze Summen für „gemeinsame Zeit“ den Besitzer wechseln, wäre man naiv, wenn man denken würde, dass der „Service“ stark eingeschränkt wird!

Wie verhält sich die Kundschaft? Nun, ich habe jetzt keine freienden Leute direkt vor Ort angesprochen, konnte aber im unverbindlichen „Talk“ mit einem „Wirtschafter“ erfahren, dass es schon seit einigen Wochen ruhig ist im Revier und das die Freier die Konfrontation mit dem Thema Kondompflicht erst mal vermeiden, in dem sie den Damen erst mal fern bleiben. Man will wohl keinen „Korb“ bekommen und auch nicht bei etwa „Verbotenem“ erwischt werden! Ein bisschen irrational, aber eben menschlich!

Ansonsten hat der Stichtag des Inkrafttretens des Gesetzes heute keinen Aktionismus von Seiten der Behörden ausgelöst! Ich habe jedenfalls von so etwas nichts gehört.

Was hätte man auch tun sollen? Großrazzien und Kontrollen, SEK-Showprogramm und erste Verhaftungen? Ein Ordnungsamtsleiter, der demonstrativ das rote Licht ausschaltet?

Es gab Leute, die wirklich mit solchen Maßnahmen gerechnet haben und sich schon länger latent bedroht fühlen. Dabei handelt es sich aber meist um Nerven-Überreizungen, die in der Folge zu gedanklichen Ausreißern führen. Zum Glück nicht real!

Die Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit“ hat gestern bundesweit mit auffälligen Bannern medienwirksam demonstriert, doch leider war das Thema des Tages gestern die „Ehe für alle“, die alles andere in den Hintergrund drängte, heute ist es Altkanzler Helmut Kohl, der omnipräsent wie kaiserlich durch Europa und durch die Medien reist und morgen wird es wieder schickere Themen geben, die sich automatisch in den Vordergrund stellen.

Aktuelle Aufrufe von Tantra-Verbänden, die ihre Forderung nach einer Abspaltung der tantrischen Massage vom Prostitutionsgesetz markant stellen, haben ein merkwürdiges Timing. Hier wäre eine frühzeitige Koordination und eine weitere individuelle Verfassungsbeschwerde womöglich sinnvoll gewesen? Egal, die „Branchen“ haben hier keine gemeinsame Basis, das sich bestimmte Ideologien einfach nicht vertragen!

http://prostitution2017.de/schutzgesetz/2017/07/01/text-verfassungsbeschwerde-prostitution/

http://prostitution2017.de/schutzgesetz/2017/06/20/ruhe-auf-den-bordellfluren/

http://prostitution2017.de/schutzgesetz/2017/01/03/das-neue-prostitutionsgesetz-2017-die-wichtigsten-basics/

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